Skip to main content

I really have to go now

Lieber Oskar,

ich schreibe dir anlässlich meiner nahenden Diplomausstellung.

Zuerst wollte ich dir Anekdoten aus unserer langen gemeinsamen Zeit an der Universität ins Gedächtnis rufen. Von Diplomskandalen, endlosen Partyschlangen, überschwemmten Ausstellungsräumen, im Müllcontainer gefundenen, achtlos weggeworfenen und aus dem Müll gefischten Designerstühlen, den vielen schönen Begegnungen und bewusstseinserweiternden Lehrveranstaltungen, aber auch von tragischen Verlusten und so vielem, vielem mehr. Aber dies alles hier auszuführen, wäre nicht der richtige Rahmen.

Dann fiel mir ein, während ich so nachdachte, dass ich dich doch eigentlich schon viel länger kenne, als erst seit dem Tag im dem Spätsommer, an dem ich dich so beiläufig auf dem Weg zur Semestereröffnung erblickte, und dass es mir sehr am Herzen liegt, davon zu schreiben.

Ich hatte trotz all des erlernten und verlernten Wissens einfach nicht den Konnex gemacht, dass ich bereits bei meinem Job im Skulpturen-Museum meiner Heimatstadt Duisburg eines deiner Gemälde — das mit den spielenden Kindern — täglich gesehen und das eine oder andere Mal mit unsicheren Schritten und behandschuht durch die Räume getragen hatte. Dass ihr beide zusammen gehört, habe ich einfach nicht geschnallt. (Du maltest es in deinem letzten Studienjahr, wie ich gerade in einem Artikel von E. Shapira herausfand. Bei ihr belegte ich zufälligerweise ein tolles Seminar, in dem es um mit unseren Zeiten vergleichbare Herausforderungen ging, was auch schon einige Jahre her ist. Diese Zufälle!) Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, dass ich mal mein eigenes leibhaftiges Kind durch die Gegend, geschweige denn durch die Gänge der Universität tragen würde, an der eben auch du wirktest.

Mein Kind hat auch viel mit meiner Abschlussausstellung zu tun, deswegen findet es hier so prominent Platz.

Seine Geburt ist der Grund dafür gewesen, den ersten Löffel zu schnitzen, auf den noch Unzählige folgen sollten und die letztendlich in meiner Ausstellung zu sehen sein werden. Einen selbst geschnitzten Löffel für mein Kind, ein Werkzeug der Fürsorge, ein Medium der Verbindung, ein Symbol des Lebens. Das war mein Einstieg.

Danach habe ich bei so vielen Gelegenheiten, wann immer ein Messer, ob stumpf oder scharf, und ein Stück Holz, weich oder hart, zeitgleich den Weg in meine Hände fanden, einen Löffel — eine Laffe und einen Stiel — in endlosen Variationen geschnitzt. Frag meine Freunde! Oft habe ich Löffel geschnitzt, obwohl ich etwas anderes tun sollte. Als konstruktive, beziehungsweise produktive Prokrastination habe ich es mir immer schöngeredet. Schön ist es geworden.

So viel Zeit und Arbeit ist da rein geflossen. Ich habe es kaum gemerkt. Ich war einfach im Flow.

Apropos geflossen: wie viel Blut und Schweiß buchstäblich in ihnen steckt kannst du dir vielleicht vorstellen.

Es stecken auch so viele Geschichten und Begegnungen in diesen Objekten. Geschichten von Einsamkeit und Gemeinschaft, von depressiven Zeiten und freudvollen Erlebnissen, von Päpsten, von lebenden und toten Bäumen, von elterlicher Verantwortung und Verantwortungslosigkeit, von gesellschaftlicher Ungleichheit, vom Leben und vom Sterben, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Jeder Löffel ist ein Impuls für ein Gespräch.

Ich wünschte, du könntest dir die Ausstellung anschauen und mir sagen, was du davon hältst.

Danke, dass du es so lange mit mir ausgehalten hast.

Ich werde dich so oft es geht besuchen und dir den Kopf freihalten.

Hiermit gebe ich symbolisch den Löffel ab. Beende mein studentisches Leben. Wird auch Zeit.

I really have to go now.

In Verbundenheit

Till

PS: Entschuldige bitte, dass ich das eine Mal, als dir jemand eine Banane aufs Haupt legte, sie nicht heruntergenommen habe, sondern in mich hinein grinsend ein Foto davon machte.